Der Fachkräftemangel entwickelt sich zu einem Dauerthema in der deutschen Wirtschaft. Laut der Gothaer KMU-Studie vom September 2023 haben mehr als die Hälfte der kleinen und mittelständischen Betriebe Probleme, Stellen zu besetzen. Das führt zu wirtschaftlichen Schäden: Aufträge können nicht mehr angenommen werden, in der Folge stagnieren oder sinken die Umsätze. Werden bestehende Teams wiederum überlastet, steigen Krankheitsfälle und Kündigungen, was zu mehr finanziellen Aufwänden für die Arbeitskräftesuche führt.
Die Fachkräftelücke sorgt für einen starken Wettbewerb um Arbeitskräfte. Gleichzeitig bietet der Wandel auf dem Arbeitsmarkt aber auch Chancen, insbesondere für KMU, die bereit sind, flexibler auf die Vorstellungen potenzieller Arbeitskräfte einzugehen.
In diesem Artikel zeigen wir einige Ursachen des Mangels und schlagen konkrete Lösungen für den Mittelstand vor.
Inhaltsverzeichnis:
Ursachen des Fachkräftemangels
Welche Branchen sind am meisten betroffen?
Schätzen Sie Ihr Risiko beim Fachkräftemangel ein
Strategien für Ihr Unternehmen
Was plant die Regierung zur Fachkräftesicherung?
Fazit: Unternehmen sollten nicht auf die Politik warten
Ursachen des Fachkräftemangels
Demografischer Wandel
Der demografische Wandel ist ein entscheidender Faktor des Fachkräftemangels. Die Gesellschaft altert und im Verhältnis kommen zu wenige junge Menschen nach. Aktuell ist jede fünfte Person in Deutschland über 66 Jahre alt. In den nächsten zehn Jahren verlässt ein Großteil der geburtenstarken Jahrgänge, der sogenannten Babyboomer, den Arbeitsmarkt. Somit sinkt die tatsächliche Anzahl an Fachkräften und viele Stellen können rein rechnerisch gar nicht besetzt werden. Für das Jahr 2023 ging das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung von 1,3 Millionen offenen Stellen aus. Fast 600.000 davon waren statistisch gesehen nicht zu besetzen.
Steigende Nachfrage nach Fachkräften
Hinzu kommt ein sich stetig wandelnder Arbeitsmarkt und die steigende Nachfrage nach qualifiziertem Personal im Zuge der Digitalisierung. Anforderungen an die Arbeitskräfte steigen, dabei mangelt es an Investitionen in ein bedarfsgerechtes Bildungssystem, z. B. im Bereich Technik aber auch bei der Weiter- und Ausbildung des Personals. Auch die Entlassungen während der Corona-Pandemie haben die Situation weiter verschärft. So wurden viele Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt oder gar ganz entlassen. Bis heute gibt es Branchen, wie die Gastronomie, die deshalb große Lücken aufweisen.
Mangelnde Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte
Ein weiterer Faktor ist die mangelnde Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte aus anderen Ländern, besonders aus Nicht-EU-Staaten. Hohe bürokratische Hürden, eine fehlende Willkommenskultur und fremdenfeindliche gesellschaftliche Strömungen sorgen dafür, dass nur wenige ausländische Fachkräfte in den vergangenen Jahren nach Deutschland kamen – deutlich zu wenige, laut der Bertelsmann-Studie von 2023.
Klimawandel
Um dem Klimawandel entgegenzuwirken, gilt es, die Dekarbonisierung bestimmter Schlüsselsektoren wie Mobilität, Industrie und Energie voranzutreiben. Das schafft neue Jobs im Bereich der erneuerbaren Technologien, führt aber auch dazu, dass Arbeitsplätze im Bereich der fossilen Energieträger dezimiert werden. Diese Veränderungsprozesse der bestehenden Berufsbilder (beispielsweise in der Automobilindustrie) setzen neue Kompetenzbedarfe und Qualifikationen voraus. Das führt in fast allen Sektoren zu einer steigenden Nachfrage an Fachpersonal.
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IT-Branche: Angesichts der voranschreitenden Digitalisierung und trotz neuer KI-Technologien leidet auch die IT-Branche besonders unter einem Mangel an IT-Fachkräften.
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Gesundheitswesen: Im Gesundheitswesen steigt aufgrund des demografischen Wandels der Bedarf an Pflegekräften dramatisch.
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Handwerk: Der Fachkräftemangel im Handwerk hat verschiedene Ursachen und ist deshalb ein komplexes Problem.
Zukünftig könnten auch weitere Branchen wie die Logistik und der Bau stärker vom Fachkräftemangel betroffen sein, da auch dort die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften steigt. Im Bereich der Energiewende fehlt derzeit Personal für den Aufbau und die Instandhaltung von Anlagen. Auch für den Ausbau der Stromnetze sowie die Installation von PV-Anlagen und Wärmepumpen kristallisieren sich Personalengpässe heraus.
Schätzen Sie Ihr Risiko beim Fachkräftemangel richtig ein
Aufgrund der oben genannten Faktoren kann jedes Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen sein, nicht nur solche in den Engpass-Branchen. Es wird davon ausgegangen, dass bis Mitte der 2030er Jahre Millionen Fachkräfte fehlen werden. Um Ihr eigenes Risiko einschätzen zu können, sollten Sie regelmäßig verschiedene Indikatoren beobachten, die auf einen Engpass in der Besetzung hinweisen. Dazu gehören der Altersdurchschnitt der Belegschaft, Vakanzzeiten, Fluktuationsrate und die Zufriedenheit Ihrer Beschäftigten.
Alterspyramide
Überprüfen Sie den Altersdurchschnitt im Betrieb und sprechen Sie offen mit den ältesten Angestellten über deren geplanten Renteneintritt. Sorgen Sie rechtzeitig für Nachwuchs durch Ausbildung und die Anstellung von Fachkräften aus jüngeren Generationen.
Vakanzzeiten
Die Vakanzzeit bezeichnet den Zeitraum, der durchschnittlich benötigt wird, um eine Stelle neu zu besetzen. Schon 2019 betrug dieser im Durchschnitt 130 Tage, in manchen Branchen dauert es inzwischen bis zu sieben Monate, bis offene Stellen wieder besetzt sind. Bemerken Sie, dass diese Zeiten bei Ihnen ebenfalls länger werden, bedeutet dies, dass die Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu hoch ist und/oder es zu wenig nachkommende Fachkräfte gibt. Dann sollten Sie Ihr Angebot überprüfen.
Fluktuationsraten und Zufriedenheit
Beobachten Sie, wie lange Angestellte im Durchschnitt bei Ihnen tätig sind und wie schnell Sie für bestimmte Stellen eine neue Fachkraft benötigen. Ist die Fluktuation hoch, kann dies auf bessere Angebote von Mitbewerbern oder auf eine niedrige Zufriedenheit im Beruf hindeuten. Nutzen Sie Tools zur Mitarbeiterbefragung und Analysen Ihrer Personalabteilung, um ein genaues Bild zu erhalten.
Tipp: Erstellen Sie langfristige Bedarfsprognosen basierend auf Ihren Unternehmenszielen und den Markttrends, um den Mitarbeiterbedarf auf längere Sicht abzuschätzen. Dafür eignen sich digitale Hilfsmittel wie HR-Analytics-Software, Workforce-Planning-Lösungen und Business-Intelligence-Tools, die eine datenbasierte Analyse und strategische Personalplanung ermöglichen.
So können KMU Fachkräfte finden
Der Mittelstand ist beliebt
Viele Arbeitnehmer:innen bevorzugen es, in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu arbeiten. Laut einer Studie von StepStone von 2019 gaben 59 Prozent der Befragten an, lieber in einem KMU zu arbeiten. Nur 12 Prozent bevorzugen einen Job in einem Großkonzern. Von denen, die bereits in einem KMU arbeiten, möchten 76 Prozent auch zukünftig dort tätig sein. Vor allem die Familienfreundlichkeit, die regionale Verwurzelung und das Potenzial zur Verbesserung machen den Mittelstand zu einem attraktiven Arbeitgeber, laut KfW-Studie.
Employer Branding/Marketing: Der Begriff Employer Branding umfasst alle Maßnahmen zur Schaffung einer starken Arbeitgebermarke. Ziele sind die Mitarbeiterwerbung (Recruiting) und die Mitarbeiterbindung (Loyalität). Steigern Sie die Attraktivität Ihres Unternehmens als Arbeitgeber. Entwickeln Sie eine starke Arbeitgebermarke, um talentierte Arbeitskräfte anzuziehen.
Künstliche Intelligenz (AI): Setzen Sie auf neue Technologien, um Effizienz und Produktivität zu steigern. AI-Tools können Unternehmen helfen, Prozesse zu automatisieren und Arbeitskräfte von repetitiven Aufgaben zu entlasten, wodurch mehr Zeit für kreative und strategische Aufgaben bleibt.
Tipp: Wenn Ihre Personalabteilung noch keine Strategien für Social-Media-Kanäle hat, sollten Sie das schnellstens nachholen. Stärken Sie die eigene Arbeitgebermarke, um neue Angestellte zu gewinnen. Das kann über einen starken Auftritt auf Karrieremessen, Onlinewerbungen oder gezielte Kampagnen in sozialen Netzwerken oder Karrierenetzwerken wie LinkedIn funktionieren. Für gelungenes Employer Branding gelten die gleichen Regeln wie bei der Werbung von Kunden: in die Zielgruppe hineinversetzen, Vorteile in den Mittelpunkt stellen und auf den entsprechenden Kanälen sichtbar werden.
Gen Z gewinnen: Sprechen Sie gezielt junge Menschen an, um diese frühzeitig an Ihr Unternehmen zu binden. Besonders die jüngeren Generationen wie Generation Z haben andere Ansprüche an ihre zukünftigen Arbeitgeber. Für sie sind Arbeitsplatzsicherheit, klare Strukturen und eine strikte Trennung von Arbeit und Privatleben von besonderer Bedeutung.
Anreize für Mitarbeiter:innen schaffen: Prämien für Neuanwerbungen können eine sinnvolle zusätzliche Motivation für Mitarbeiter:innen sein, offene Stellen neu zu besetzen. Das erweitert den Radius, den die Ausschreibung hat und erhöht nebenbei die Chancen, dass sich die neuen Bewerber:innen besser in den Mitarbeitendenkreis eingliedern, da sie die neuen Bewerber:innen schon kennen.
Flexibilität: Flexible Arbeitsbedingungen und innovative Arbeitsmodelle können ein großer Vorteil sein, besonders im Hinblick auf die Ansprüche jüngerer Generationen an ihre Arbeitgeber. Das kann beispielsweise in Form von Remote-Arbeit im In- und Ausland oder die Möglichkeit von Workations umgesetzt werden.
Reskilling und Upskilling: Investieren Sie in die Weiterbildung Ihrer bestehenden Mitarbeiter:innen. Durch Reskilling können Beschäftigte neue Fähigkeiten erlernen, während Upskilling bestehende Fähigkeiten erweitert. Dies hilft, die Entwicklungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen zu erhöhen und offene Positionen schneller zu besetzen. Und vielleicht noch wichtiger: Es führt dazu, dass gut ausgebildetes Personal im Unternehmen bleibt.
Mehr Diversity: Nutzen Sie das Potenzial von Frauen, Menschen mit Behinderung und Zugewanderten. Eine diverse Belegschaft bringt unterschiedliche Perspektiven und kann zur Innovationskraft des Unternehmens beitragen. Studien wie beispielsweise „Diversity Matters even more“ von McKinsey zeigen, dass Unternehmen mit hoher Diversity oft erfolgreicher sind.
Flexiblere Arbeitszeitmodelle: Mitarbeiter:innen, insbesondere Frauen mit kleinen Kindern und ältere Beschäftigte profitieren erheblich von flexibleren Arbeitszeitmodellen, da sie so ihren Alltag mehr nach ihren Bedürfnissen strukturieren können. Das kann Stress vorbeugen und wirkt sich so ebenfalls positiv auf die Angestelltenzufriedenheit aus. Überlegen Sie deshalb, ob und wie Sie flexiblere Arbeitszeitmodelle in Ihrem Unternehmen integrieren können.
Tipp: Nichts ist bessere Werbung als zufriedene Angestellte. Und nicht nur das Recruiting wird durch loyale Mitarbeiter einfacher: Eine zufriedene Fachkraft, die gerne im Unternehmen arbeitet, ist effektiver als eine, die erst aufwendig gesucht und dann ins Unternehmen eingebunden werden muss. Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung sind Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Wägen Sie ab, was Ihr Unternehmen bieten kann und was Ihre Angestellten wollen.
Was plant die Regierung zur Fachkräftesicherung?
Die Bundesregierung hat verschiedene Maßnahmen zur Fachkräftesicherung angekündigt. Diese sollen insbesondere in drei prioritären Handlungsfeldern umgesetzt werden. Diese sind:
- Ermutigung von Erwerbstätigen zum Auf- und Ausbau von Kompetenzen
- Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit von Arbeitnehmer:innen
- Einwanderung von Fachpersonal ermöglichen
Dazu gehören unter anderem folgende Maßnahmen:
1. Zeitgemäße Ausbildung
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Investitionen in Bildung und duale Ausbildung
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Modernisierung der Ausbildungsordnungen (ökologische und digitale Transformation)
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Abbau finanzieller Hürden, z. B. in Erziehungsberufen
2. Gezielte Weiterbildung
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Unterstützung für KMU bei Fachkräftesicherung und Weiterqualifizierung
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Förderung von Weiterbildungen in Engpassberufen
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Nationale Online-Weiterbildungsplattform
3. Verbesserung der Arbeitsqualität
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Initiative zur Schaffung guter Arbeitsbedingungen in KMU (INQA)
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Diversitätsstrategie für Bundesbehörden
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Unterstützung flexibler Arbeitszeitgestaltungen
4. Modernisierung der Einwanderungspolitik
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Erleichterte Zuwanderungsbedingungen für Nicht-EU-Bürger
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Modernisierung des Einwanderungs- und Staatsangehörigkeitsrechts
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Programm für Arbeitsmarktintegration „Integration durch Qualifizierung“ (IQ)
Tipp: Unterstützung für die Wirtschaft bietet das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung, kurz KoFa, das neben Fakten und Studien auch Handlungshilfen, Checklisten und Praxisbeispiele bereitstellt.
Fazit: Unternehmen sollten nicht auf die Politik warten
Der Fachkräftemangel betrifft die gesamte deutsche Wirtschaft. Die Herausforderungen durch fehlende Fachkräfte werden in den nächsten Jahren sogar noch größer. Aber Lösungen können nicht nur aus der Politik kommen. Kleine und mittelständische Betriebe sollten frühzeitig reagieren, um auch langfristig alle Stellen besetzen zu können. Dazu gehören Maßnahmen wie Mitarbeiterbindung und Social-Media-Kommunikation aber auch langfristige Investitionen in die Aus- und Weiterbildung, Automatisierung und Digitalisierung.
Auch für Unternehmen, die (noch) nicht betroffen sind: Wichtig ist es, die eigene Belegschaft und die Trends auf dem Markt im Blick zu behalten. KMU, die diese Punkte beachten, werden es im wachsenden Arbeitnehmermarkt leichter haben, Fachkräfte zu binden.
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