Schelchen GmbH – ein Hidden Champion aus Königs Wusterhausen
Interview mit einem Traditionsunternehmen in der dritten Generation
Nur wenige Deutsche kennen die Stadt, doch Königs Wusterhausen ist Standort eines geheimen Champions des deutschen Mittelstands. Ein großes, langgezogenes Grundstück mit vier Zufahrten beherbergt alles: von der Produktionshalle, über das Materiallager, über die Administrations- und Bürogebäude bis hin zur hauseigenen Kantine und dem Fitnessraum. Zwischen den Gebäuden verlaufen kleine Wege, durch einen beeindruckenden, liebevoll gepflegten Garten, der sich über das ganze Gelände erstreckt. Ruhe, Fleiß, Zurückhaltung und Respekt treten so in einem Motiv zusammen: Alles hier ist organisch gewachsen.
Die Schelchen GmbH, gegründet 1955 in einem Berliner Hinterhof von Hartmut Schelchen, ist mehr als ein deutsches Traditionsunternehmen: Mit den Produkten unter der Marke pedag® ist das Unternehmen einer der führenden internationalen Exporteure von deutschen Medizinprodukten im Bereich der Fußgesundheit, der größte Einlegesohlenhersteller Deutschlands und Qualitätsführer auf dem Markt geworden.
Wir sind den zwei Generationen der Schelchen GmbH begegnet, haben die Familien Sabine und Thomas Timm, Lisa und Christian Seiffert und Ines und Tilo Bürger kennengelernt und uns durch die Prozesse des Unternehmens führen lassen. Im Verlaufe des Tages sind wir mit allen Geschäftsleitenden ins Gespräch gekommen.
Herr Seiffert, Sie sind verantwortlich für die Betriebsleitung der Produktion und den Versand und dabei sozusagen der neueste Zugang zur Geschäftsleitung. Erzählen Sie bitte, wie Sie die ersten Jahre bei der Schelchen GmbH erlebt haben.
Christian Seiffert: „Ich kam zum Unternehmen, als die Pandemie gerade losging. Meine Frau Lisa und ich waren vorher in Südwestdeutschland als Angestellte tätig, wollten aber auch selbst erleben, was es heißt ein Unternehmen zu leiten. Lisas Eltern – Ines und Tilo Bürger – waren gerade dabei das Unternehmen von Sabine und Thomas Timm zu übernehmen und boten uns den Einstieg mit an. Das war eine spannende Zeit, denn es gab natürlich einige Herausforderungen. Da lautete weniger die Frage, wie man die Pandemie managt, sondern wie man mit zusätzlicher Energie herauskommt.“
Da müssen wir kurz einhaken, erzählen Sie von dem Generationswechsel in der Geschäftsleitung.
Christian Seiffert: „Hartmut Schelchen hatte sein Unternehmen in den 50er Jahren gegründet, weil er mit den normalen Einlegesohlen in Schuhen nicht zufrieden war. Seitdem ist viel passiert, unter Schelchen ist die Firma zu einem Markenunternehmen geworden. Thomas Timm unterstützte Herrn Schelchen ab den 80er Jahren und verstärkte den Export, so dass die Belegschaft auf über 100 Mitarbeitende ausgeweitet und mehrere Patente angemeldet wurden. Doch wie es für die Gründergeneration so üblich ist, fiel es Hartmut Schelchen schwer, das Aufgebaute loszulassen. Sabine und Thomas Timm haben aus dem schweren Übergang in der Geschäftsleitung gelernt und sich rechtzeitig um ihre Nachfolge gekümmert sowie ihre Erfahrungen auch gleich an die Familie Bürger weitergegeben. Eine Konsequenz davon ist, dass meine Frau und ich eben nun auch gleich im Unternehmen mit dabei sind und alle Stricke kennenlernen.“
Mit einem gut geplanten und durchgeführten Generationswechsel wird ja nicht nur Kontinuität gewährleistet, sondern auch Platz für neue Ideen und Technologien gegeben. Herr Bürger, Sie sind von der Ausbildung her Ingenieur und Informatiker und haben neue digitale Technologie für das Unternehmen mitentwickelt:
Tilo Bürger: „Ich war sehr früh in der dreidimensionalen Bildanalyse tätig, was heute als Scanner-Technologie bekannt ist. Ich hatte also Zugang zur Technologie und konnte da die passenden Ideen zu unseren Produkten umsetzen, sodass wir 2013 den ‚Easy Step‘ herausgebracht haben. Das ist ein Gerät, das in Verkaufsflächen aufgestellt wird, den Fuß von Kunden scannt und die passenden Fußbetten zum Fuß- und Schuhtyp empfehlen kann.“
„Wir waren bereits vor der Pandemie sehr gut digital aufgestellt.“
Tilo Bürger
Geschäftsführer Schelchen GmbH
Hat die Pandemie Ihrer Digitalisierung dann neuen Aufschub gegeben?
Tilo Bürger: „Wir waren bereits vor der Pandemie sehr gut digital aufgestellt. Mit unserem Warenwirtschaftssystem können wir genau sehen, wie viele Produkte unsere Kunden noch im Lager haben und dementsprechend sofort nachliefern. Die Förderung für Digitalisierung während Corona haben wir nicht genutzt, denn plötzlich waren Marketing- und Digitalagenturen doppelt so teuer als sonst und dann ist auch noch wichtig zu begreifen: Einen Webshop zu haben ist das eine, dafür dann auch Kunden zu bekommen ist das andere.“
Was sagen Sie zum Thema Plattformökonomie – wäre das nicht interessant Ihren Kunden eine Infrastruktur für den eigenen Vertrieb zu ermöglichen?
Tilo Bürger: „Da sage ich entschieden nein und das hat nicht einmal etwas mit dem Digitalisierungsgedanken zu tun, sondern mit Vertriebsstrategie: Wir suchen unsere Geschäftspartner vor allem im Ausland selektiv aus und vermeiden konkurrierende Vertriebsstrukturen, denn letztendlich geht das zu Lasten der Marke und uns als Hersteller. Zum Stichwort Plattformökonomie oder B2B-Plattformen: Da geht es neben dem Verkaufen vor allem um Datensammeln – das lohnt sich aber kaum für kleine mittelständische Betriebe wie uns. Und zuletzt wird Künstliche Intelligenz dieses Geschäftsmodell ganz heftig erschüttern.“
Die Pandemie ist nun vorbei – was sind die Herausforderungen für die nächsten Jahre?
Christian Seiffert: „Wir können es ganz klar sagen, die Folgen der Pandemie beschäftigen uns natürlich noch: Wir sind geschrumpft, haben jetzt weniger Mitarbeitende. Der Markt ist geschrumpft, einige Mitbewerber gibt es jetzt nicht mehr. Doch die Energiekrise und die internationalen Konflikte treffen uns gerade noch viel mehr: Unser Russlandgeschäft existiert zum Beispiel nicht mehr und der Gaspreis ist um fast 50 Prozent angestiegen. Dazu kommt der Fachkräftemangel: In den nächsten fünf Jahren werden etwa 20 Prozent unserer Belegschaft in den Ruhestand gehen.“
Tilo Bürger: „Nach drei Jahren sollte die Pandemie dann aber auch als erledigt betrachtet werden, man kann nicht die ganze Zeit zurückschauen. Man kann viel über die Versäumnisse unseres Staates in dieser Zeit reden, aber meiner Meinung nach, gibt es eigentlich nur ein Land, das es besser gemacht hat als Deutschland. Die Niederlande haben auch Kurzarbeit gezahlt, aber nur, wenn die Leute weitergearbeitet haben. Was in dieser Zeit an Innovationen, Schulungen und Qualifikationen passiert ist, ist wirklich sagenhaft. Bei uns mussten alle zuhause bleiben.
Unsere Mitarbeiteranzahl ist geschrumpft, aber nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Wir haben einige Geschäftsfelder komplett eingestellt. Nicht wenige Mitarbeitende überlegten während der „Corona-Pause“, was Sie noch beruflich in ihrem Leben erreichen wollten, und haben sich in der Konsequenz verabschiedet.
Heute sehen wir uns neben Energiepreisen, Fachkräften und global festzustellender Kaufzurückhaltung auch mit deutlich zunehmender staatlicher Regulierung konfrontiert.“
Was meinen Sie konkret, wenn Sie von Überregulierung sprechen?
Tilo Bürger: „Unsere Produkte sind als Medizinprodukte nach dem Medizinproduktegesetz zertifiziert. Wir haben ein CE-Logo auf den entsprechenden Produkten, all das ist natürlich nur das Übliche, neben Qualitätsmanagement und allem weiteren. Zwei Drittel unserer Mitarbeiter haben jetzt bereits eine Sonderfunktion, zum Beispiel Ersthelfer – das ist natürlich wichtig, aber dann gibt es Brandschutzbeauftragte, Datenschutzbeauftragte, Regalsystembeauftragte, Arbeitsschutzbeauftragte, die mit dieser Tätigkeit nicht zur Wertschöpfung beitragen.“
Christian Seiffert: „Und jetzt kommen Whistleblower-Richtlinien, Nachhaltigkeitsrichtlinien. All das kostet Geld und muss mit Arbeitskraft hinterlegt werden. Es entsteht der Eindruck, wir machen uns den Fachkräftemangel selbst. Großunternehmen können so etwas vermutlich auch langfristig stemmen, doch für den Mittelstand wird das mehr und mehr zur Existenzfrage.“
Am Ende des Interviews kommen die Unternehmerfamilien nochmals alle zusammen – für ein Gespräch übers Wesentliche. Wir fragen: Wie schaffen Sie die Balance zwischen Unternehmertum, Familienleben und eigener Entfaltung?
Tilo Bürger: „Alle hier sind starke Persönlichkeiten. Jeder braucht seinen eigenen Entscheidungsbereich und das muss gegeben sein. Auch wenn wir hitzige Diskussionen haben, können wir uns immer in die Augen schauen und nehmen es nicht persönlich. Wertschätzung muss dabei immer eine Rolle spielen. Es geht um die Sache.“
Ines Bürger: „Freude und Leidenschaft müssen dabei sein. Es würde nie funktionieren, die Kinder zu zwingen, ins Familienunternehmen einzusteigen.“
Lisa Seiffert: „Wir fahren auch gemeinsam in den Urlaub und ja: da sprechen wir auch über die Arbeit, aber anders als im Tagesgeschäft. Die Arbeit gehört für uns einfach zum Leben dazu, weil wir mit ganzem Herzen dabei sind.“
Ines Bürger: „Das habe ich noch zu Ostzeiten gelernt: Karl Marx hat geschrieben, Arbeit ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Verstanden habe ich es aber erst später, als ich den richtigen Job hatte.“
Alle hier sind starke Persönlichkeiten. Jeder braucht seinen eigenen Entscheidungsbereich und das muss gegeben sein.
Tilo Bürger, Geschäftsführer Schelchen GmbH
Was inspiriert Sie?
Ines Bürger: „Unsere Kunden, weil sie Probleme haben, die wir lösen wollen. Wir haben Kunden in über 50 Ländern. Wir produzieren Sonderanfertigungen für Japan, andere für Griechenland und alle haben individuelle Anregungen und individuelle Bedürfnisse. Uns damit zu beschäftigen, bringt uns immer weiter.“
Lisa Seiffert: „Für mich ist es auch Herr Schelchen, der Firmengründer. Ich durfte ihn noch persönlich kennenlernen und viele Werte, die uns als Firma ausmachen, hat er geprägt. Dass wir ein Familienunternehmen sind, die pedag-Familie. Und so wie Thomas [Timm] gerade Fotos seiner drei Wochen alten Enkelin gezeigt hat, denken wir aneinander, wissen viel übereinander, helfen einander sind füreinander da und haben zusammen Spaß bei der Arbeit.“
Christian Seiffert: „Mich inspiriert Simon Sinek, ein Unternehmensphilosoph, der viel auf psychologische Sicherheit setzt bei Mitarbeitenden und Teams. Unternehmertum ist für mich kein Einzelkampf, wir sind ein Team und wir harmonieren. Simon Sinek regt mich einfach immer wieder dazu an, mir klarzumachen, warum wir eigentlich das tun, was wir tun.“
Worauf sind Sie besonders stolz?
Tilo Bürger: „Dass wir den Übergang von zweiter zu dritter Generation so gemeistert haben. Und da sind nicht nur wir dieser Meinung, sondern das wird uns auch von außen so gespiegelt, von Kunden und Partnern.“
Thomas Timm: „Auch wenn wir keine „echte“ Familie sind, haben wir zusammengearbeitet wie eine Familie und eine familiengerechte Lösung zum Wohle des Unternehmens gefunden, so dass dem Unternehmen nicht die Substanz entzogen wird. Wir gestalten den gesamten Übergang beispielsweise ohne eine Bankenfinanzierung und sind in diesem Sinne nicht erpressbar. Alles aus dem Cashflow heraus, alles sehr solide. Das wird uns von unseren Partnern und auch unseren Banken, die natürlich etwas traurig sind, dass sie unseren jungen Leuten keine Kredite geben dürfen, positiv gespiegelt.“
Der Übergang ist also schon vollzogen?
Christian Seiffert: „Wir haben darauf geachtet, dass wir das ganze Wissen unserer geschätzten Vorgänger aufsaugen und das ist natürlich nicht mit einem Mal abgeschlossen. Doch geschäftlich ist alles geklärt.“
Thomas Timm: „Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein. Nächste Woche feiern wir hier Standortjubiläum, 30 Jahre in Königs Wusterhausen.“
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